7.3. Mischungsphänomene

7.3.1. Reaktionen verschiedener Alkohole mit Wasser

Beim Zusammengeben gleicher Volumina von Ethanol und Wasser ist das Endvolumen kleiner als die Summe der beiden Ausgangsvolumina. Sehr häufig wird auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht ohne dabei zu erwähnen, dass dieser Vorgang exotherm ist. In der folgenden Experimentreihe werden systematisch die ersten drei Glieder der homologen Reihe der unverzweigten einwertigen Alkanole und das zum dritten Glied dieser Reihe Isomere, Propan-2-ol, untersucht.

Video: Reaktionen einwertiger Alkohole mit Wasser

Nachdem Sie das Video gesehen haben, stellen wir hier zunächst die Messergebnisse übersichtlich nebeneinander:

H-Brueckenwechsel

Bei der Deutung dieser Versuchsreihe geht es in einem ersten Schritt darum, die Exothermie und die Volumenreduzierung zu verstehen. Weiterhin treten aber auch Fragen zur Gleichgewichtslehre, zur Bindungslehre und zur chemischen Reaktion auf.
Eine Faustregel besagt, dass eine Reaktion exotherm ist, wenn die Anzahl der polaren Bindungen oder die Polarität von Bindungen erhöht wird. Die Kohäsion in Wasser beruht in stärkerem Maß auf Wasserstoffbrücken als bei den primären Alkoholen, u. a. weil beim Wasser sowohl zwei freie Elektronenpaare wie auch zwei brückenfähige H-Atome vorliegen, während bei den Alkoholen zwar auch zwei freie Elektronenpaare aber nur jeweils ein brückenfähiges H-Atom pro Molekül vorliegt. Jedes Wassermolekül kann maximal vier H-Brücken eingehen, während bei den Alkoholen die Obergrenze im zeitlichen und räumlichen Mittel bei zwei H-Brücken pro Molekül liegt.
Kommen nun Wasser und Alkohol auf Molekülebene zusammen, so vergrößert sich für die Alkohole die Obergrenze durch das größere Angebot an brückenfähigen H-Atomen der hinzugekommenen Wassermoleküle. Die Obergrenze für die Wassermoleküle hingegen bleibt bei vier Brücken pro Molekül. Damit kommt es brutto zu einer größeren Zahl von polaren Bindungen, durch die gemäß der Faustregel die Exothermie verständlich wird.

Um das Veständnis dieser Volumenreduzierung zu erleichtern, wird hier zunächst noch einmal auf die Erläuterungen zum Kraftaspekt der chemischen Bindung. hingewiesen.
Wenn man davon ausgeht, dass die Bindungslängen der C-C-, C-H-, C-O-, O-H-Bindungen beim Vermischen konstant bleiben, so kann sich der verkleinerte Bindungsabstand nur auf die chemischen Bindungen zwischen den Molekülen beziehen, also auf die van-der-Waals-Bindungen zwischen den temporären und stationären Dipolen und die H-Brückenbindungen. Dass die Alkohole durch vermehrte H-Brücken eingebunden sind, wurde oben bereits angeführt. Die temporären Dipole der Alkohohle machen mit den stärkeren Dipolen der Wassermoleküle aber eine zusätzlich Wechselwirkung, die erst bei kleineren zwischenmolekularen Abständen zum Kräftegleichgewicht der Rückstellkräfte führt.
Diese chemische Reaktion, die die Bindunsgverhältnisse offensichtlich deutlich verändert, zeigt auch Phänomene von Gleichgewichtsreaktionen. Vergleicht man die verschiedenen Exothermieen in der Versuchsreihe bei den unterschiedlichen Kettenlängen, so wird mit abnehmender Kettenlänge dieser Temperatureffekt stärker. In dieser Richtung nimmt jedoch auch die Stoffmenge eines der Edukte zu. Beim den Propanolen werden etwa 130 mmol, beim Ethanol 172 mmol und beim Methanol werden 247 mmol Edukt eingesetzt. Die größere Stoffmenge bewirkt zwar direkt keine andere Gleichgewichtskonstante, aber ein Teil der zusätzlichen Stoffmenge reagiert gemäß Le Chatelier exotherm zu den Produkten. Dadurch werden die unterschiedlichen Temperatureffekte innerhalb der Versuchsreihe verständlich.

7.3.2. Spontane Entmischung zweier Gase

In vielen Büchern wird das Phänomen der spontanen Durchmischung zweier Gase (möglichst mit stark unterschiedlicher Dichte wie bei Brom und Luft) beschrieben, und dabei auf die Diffusion der Gasteilchen gegen die Schwerkraft hingewiesen. Als Antrieb für diesen Vorgang führt man dann häufig die Entropie an und sieht in diesem Vorgang eine Begründung dafür, die Entropie als Maß für die Unordnung in einem System anzusehen. Zur Unterstreichung der Unordnungsthese wird eventuell sogar ausgesagt, dass eine freiwillige, spontane Entmischung zweier Gase quantentheoretisch wohl möglich, aber extrem unwahrscheinlich sei. Das folgende Video zeigt Ihnen, dass eine spontane Entmischung zweier Gase ein sehr alltäglicher Vorgang ist.

Video: Spontane Gasentmischung

Fassen wir den Ablauf des Versuchs zusammen:

  • Mit dem Brenner wird an den Iod-Kristallen thermische Arbeit verrichtet und führt zur Sublimation des Iod. Der Brenner wird entfernt.
  • Das gasförmige Iod steigt in Schwaden im Reagenzglas auf und durchmischt sich mit der Luft. An der Farbverdünnung ist die Durchmischung gut zu erkennen.
  • Die Durchmischung wird gleichmäßiger. Nach etwa 60 Sekunden hat man den Eindruck eines einigermaßen gut homogenen Gasgemisches.
  • Im Lauf der folgenden Zeit wird die Farbintensität schwächer. Nach 90 Sekunden wird der Anfangszustand beim Start des Versuchs zum Farbvergleich eingeblendet.
  • Der Farbvergleich wird später noch zweimal wiederholt.
  • In der Zeit von zwei - zehn Minuten schaltet der Film auf Zeitrafferdarstellung um. Die violette Farbe wird immer schwächer, aber das Reagenzglas bleibt dunkler als beim Start. Zum Schluß zeigt eine Großaufnahme, dass sich dunkle Kristalle gebildet haben.

Festes Iod ist durch Resublimation enstanden. Es hat sich ein Sublimationsgleichgewicht eingestellt. Wir wissen, dass auch eine Flasche, die festes Iod enthält, deutlich nach Halogenen riecht, weil sich Laufe der Zeit in der Flasche ein Gleichgewicht zwischen festem und gasförmigen Iod einstellt. Durch das Erwärmen mit dem Brenner haben wir eine solche Gleichgewichtseinstellung auch im Reagenzglas erreicht. Die dunklere Farbe als das "Startreagenzglas" rührt sowohl vom kristallinen Niederschlag wie von geringen Restgasanteilen her.
Der Antrieb zu dieser Gleichgewichtseinstellung hat die gleichen Ursachen wie bei jeder anderen thermodynamischen Gleichgewichtseinstellung: Die Teilchen verteilen sich auf den Energieniveaus von Edukt und Produktseite, die Entropie wird maximal und macht das System thermisch stabiler.
Jede Ordnungsvorstellung ist eine willkürliche Festlegung und steht durch diese Willküreigenschaft im Widerspruch zu den Entropiephänomenen (s. Kap. 5.1).